„Die Zeit für den

Wandel ist da“

Wir müssen nachhaltiger wirtschaften, mahnt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Jetzt haben wir die Chance dazu.

No.I: Haben Sie in den Wochen des Lock- downs eigentlich Geschäftsreisen vermisst?

Nicht wirklich. Vor allem solche nicht, die mehr Zeit für die Reise als für das eigentliche Treffen beziehungsweise die Veranstaltung erfordern. Die Dienstreisen kosten Zeit und Kraft, die ich anderweitig nutzen konnte. Al- lerdings vermisse ich durchaus das men- schliche Miteinander. Es ist etwas ganz an- deres, vor Ort bei einem Vortrag mit Men- schen zu diskutieren, als virtuell über einen Bildschirm. Somit freue ich mich auch wieder auf physische statt virtuelle Treffen, werde aber künftig mehr auf einen (klima-)gesünde- ren Mix achten.


No.I: Auf den Treibhausgas-Ausstoß hat sich die Pandemie – kurzfristig – positiv ausgewirkt, etwa weil weniger Flugzeuge und Kreuzfahrtschiffe unterwegs waren. Müssen wir jetzt lernen, anders zu leben, um das Klima zu retten?

Kemfert: Wir müssen vor allem lernen, an- ders zu wirtschaften, nämlich nachhaltig. Flugzeuge und Kreuzfahrtschiffe können kli- maschonend unterwegs sein, dafür müssen die Treibstoffe aus regenerativen Energien nachhaltig gewonnen werden. Aber sicherlich muss es auch darum gehen, verschwenderi- schen Konsum abzuschaffen und auf die Umwelt- und Klimawirkung jedes Verhaltens zu achten. Aber Klimaschutz gibt es nicht im Supermarkt, es muss sich in allen Bereichen etwas ändern.


No.I: In der Diskussion um Rettungspakete entstand bisweilen der Eindruck, man könne entweder die Wirtschaft ankurbeln oder sie ökologisch ausrichten. Müssen wir uns wirklich für eines entscheiden?

Kemfert: Nein! Beides gehört zusammen. Diese Denkweise hat uns nach der letzten Wirtschaftskrise zehn Jahre Zeit gekostet, die wir durch eine Abwrackprämie und die da- raus folgenden steigenden Treibhausgas-, Stickoxid- und Feinstaubemissionen verloren haben. Diese Zeit haben wir nicht mehr, die Emissionen müssen so schnell wie möglich gesenkt werden. Jetzige Wirtschaftshilfen müssen auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Klimaschutz schafft wirtschaftliche Chancen.


No.I: In der Pandemie haben wir gelernt, neue Wege zu gehen. Beispielsweise hat die Digitalisierung einen ungeahnten Schub erhalten. Wie zuversichtlich sind Sie, dass ein verändertes Mindset uns jetzt neue Chancen für die Transformation hin zu mehr Umwelt- und Klimaschutz eröffnet?

Kemfert: Ich bin sehr zuversichtlich. Dekarbo- nisierung, Digitalisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung sind die Schlüsselbe- griffe der Zukunft. Schon vor der Coronakrise gab es eine überwältigende Mehrheit, die sich mehr Ambitionen für Klimaschutz wün- scht. Und dies passiert einerseits, weil immer mehr Menschen sehen und erleben, dass der Klimawandel real ist und sich bereits heute durch heiße und trockene Sommer, Dürren, Wasserknappheit und Waldbrände zeigt. Aber vor allem hat die Fridays-for-Future-Be- wegung die Welt verändert. Die Zeit für den Wandel ist da.


No.I: Sie schreiben in Ihrem Buch „Mon- days for Future“: „Klimapolitik hat eine lange Geschichte, aus der wir manches für die Zukunft lernen können.“ Welches ist die wichtigste Lehre aus der aktuellen Situa- tion, um unsere Welt von morgen zu retten?

Kemfert: Die aktuelle Krise hat uns gezeigt, wie wichtig in eben solchen Zeiten staatliche Transparenz und Vertrauen in die gemein- schaftlichen Institutionen sind. Menschen in Angst mögen spontan nach einer starken ret- tenden Hand rufen. Doch sie machen derzeit sehr nachdrücklich die Erfahrung, dass nicht Diktaturen Menschenleben retten, sondern dass Demokratien die besseren Krisenmana- ger sind. Es braucht viele Hände, um eine Gesellschaft zu tragen. Deswegen liegt es an uns, dass wir sicherstellen: Nach der Coro- na-Solidarität kommt die Klima-Solidarität!

Claudia Kemfert:

Mit ihrem Buch „Mondays for Future“ (unten) möchte die Umweltökonomin Mut machen, sich für den Klimaschutz zu engagieren

Foto: Thomas Bruns