provoziert!“

Fotograf mit Vorliebe für klare Worte:

Oliviero Toscani glaubt an die Kunst und ihre Kraft

„Gute Kunst

Der Mann traut sich was: Starfotograf Oliviero Toscani hat Aidskranke abgelichtet und einen Priester, der eine Nonne küsst. Er will mit seinen Motiven wachrütteln. Nun griff er für Arte Generali zur Kamera.

No.I: Sie sind bekannt für provozierende Fotos. Für eine Benetton-Kampagne haben Sie etwa Aids und Rassismus thematisiert. Für Arte Generali war Ihr Motiv ein halb nackter, herumspringender Künstler mit einer goldenen Toilettenschüssel. Dieser Ansatz erscheint eher verspielt und lustig. Ist das für Sie nicht ungewöhnlich?

Oliviero Toscani: In Deutschland haben sich da- mals alle über die Benetton-Kampagne aufgeregt. Es wurde sogar vor dem Bundesverfassungsge- richt verhandelt, ob die Werbung verboten wer- den solle. Das wurde sie letztlich nicht. Aber heute sind alle enttäuscht, wenn ich nichts Provo- zierendes mache, das ist seltsam. Bei Arte Gene- rali ging es allerdings nicht darum, zu provozieren.


No.I: Worum ging es denn?

Toscani: Wir wollten ja nicht die Welt verändern. Für mich ist diese Kampagne ein Weg zu zeigen, was Arte Generali tut. Der Künstler Maurizio Cat- telan – ein guter Freund von mir – und ich haben die Kampagne gemeinsam ausgearbeitet. Ich hoffe immer, dass ich etwas schaffe, was intel- ligent genug ist, damit die Menschen verstehen, was meine Kunden machen, um deren Geschäfte gedeihen zu lassen.


No.I: Maurizio Cattelan sagt, dass jedes Kunstwerk ein Diebstahl sei, weil Künstler Inspiration von anderen Werken stehlen.

Toscani: Das stimmt. Zweitklassige Künstler ko- pieren, großartige Künstler stehlen.


No.I: Wie wichtig ist eine Kunstversicherung aus Ihrer Sicht?

Toscani: Ich bin kein Kunstsammler. Ich besitze überhaupt nur sehr wenige Dinge, denn ich habe ein Problem mit Besitz. Er bringt für mich nur Är- ger mit sich. Er kann verloren gehen, beschädigt werden oder zerstört. Aber ich bin sehr froh, dass ein Versicherer sich für Kunst interessiert. Denn normalerweise geht es in der Branche ja immer um unerfreuliche Dinge wie Krankheit, Unfälle oder den Tod. Dies ist vielleicht das einzig erfreu- liche Produkt in der Branche. Arte Generali ist eine sehr gute Sache, denn viele Sammler besit- zen unglaublich wertvolle Kunstwerke. Für sie ist es wichtig, diese bestmöglich zu schützen.


No.I: Der Kunstmarkt wächst. Doch Kunst hat nicht nur eine finanzielle Dimension. Was macht für Sie den Wert von Kunst aus?

Toscani: Der Kunstmarkt ist verrückt. Leute mit Geld investieren riesige Summen. Manchmal scheint es mir, als wollten sie ihren Mangel an Kreativität kompensieren, indem sie Kunstwerke kaufen. Zeitgenössische Kunst ist heute vor allem ein Geschäft. Ich finde das traurig, weil Kunst ein Allgemeingut sein sollte, wie sie es in früheren Jahrhunderten war. Mit der Sixtinischen Kapelle in Rom zum Beispiel hat die Kirche auch einen Bil- dungsgedanken verfolgt.


No.I: Eines der großen Themen unserer Zeit ist Nachhaltigkeit. Glauben Sie, dass es der Menschheit gelingen wird, den Klimakollaps noch zu verhindern?

Toscani: Ich hoffe, dass wir überleben werden! Allerdings bin ich eher pessimistisch – die Men- schheit ist nicht besonders schlau.


No.I: Können wir von Kunst etwas lernen?

Toscani: Ja. Die Menschen sollten Kunst studie- ren, nicht Wirtschaftswissenschaften. Dann wäre die Welt ein besserer Ort. Gute Kunst provoziert und bringt uns zum Nachdenken.

Foto: laif/Daniel Hofer, dpa/KEYSTONE